Asexualität/Aromantik und Kinderwunsch

Immer häufiger begegnen einem in den diversen Medien Geschichten über heterosexuelle Paare, die Probleme damit haben, ein Kind zu bekommen und nur mithilfe von Kinderwunschbehandlungen etc. Eltern werden können. Auch wenn dieses Thema leider bisher noch nicht vollends entstigmatisiert wurde, ist es toll, dass diese Betroffenen mittlerweile medial repräsentiert werden und ein Bewusstsein für diese Problematik geschaffen wird.
Auch die mediale Repräsentation von homosexuellen Paaren, die mithilfe von Samenspenden oder mithilfe von Leihmüttern den Traum eines eigenen Kindes ausleben können, ist in den letzten Jahren größer geworden. Natürlich sind wir noch lange nicht an dem Punkt angekommen, dass diese Lebensrealitäten gesellschaftlich akzeptiert, respektiert und nicht mehr stigmatisiert werden, doch immerhin sind sie mittlerweile medial sichtbar.
Doch nach wie vor bleibt eine Gruppe von Menschen mit Kinderwunsch, die in den Medien oft übergangen wird, außen vor: asexuelle und/oder aromantische Menschen.
Wie sieht es mit dem Kinderwunsch aus, wenn die eigene Sexualität auf den ersten Blick im krassen Kontrast dazu steht?
Um der Beantwortung dieser Frage gerecht zu werden, habe ich mich mit der asexuellen Autorin und LGBTQIA+-Aktivistin Evelyne Aschwanden zusammengetan und mit ihr in einem Instagram-Aufruf um persönliche Erfahrungsberichte gebeten. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist der nachfolgende Artikel, der den Kinderwunsch asexueller und aromantischer Personen beleuchten soll.
Aber fangen wir vorne an: Was genau ist Asexualität eigentlich?
Asexualität: Die unsichtbare Sexualität
Als asexuell definieren sich Menschen, welche wenig bis keine sexuelle Anziehung oder ein Bedürfnis nach sexueller Nähe verspüren. Entgegen der allgemein verbreiteten Vorstellung ist Asexualität nicht mit einem Zölibat gleichzusetzen: Während es sich bei Letzterem nämlich um eine bewusste, religiöse Entscheidung zur sexuellen Abstinenz handelt, versteht sich Asexualität als eigenständige Sexualität. Asexuelle Menschen können gleichzeitig auch aromantisch sein (sprich: wenig bis keine romantische Anziehung oder ein Bedürfnis nach einer romantischen Partnerschaft verspüren), können sich aber oftmals genauso verlieben und nach Romantik streben wie nicht-asexuelle Menschen.
Asexualität ist ein Spektrum: Manche asexuellen Menschen verspüren keinerlei Bedürfnis nach sexueller oder romantischer Nähe, andere hingegen lassen sich unter bestimmten Umständen gerne auf Sex ein, sind verheiratet und haben eine Familie.
Asexualität und Kinderwunsch: Ein Widerspruch?
Mein Name ist Evelyne Aschwanden, ich bin Autorin, LGBTQIA+-Aktivistin – und asexuell. Einen Kinderwunsch besitze ich nicht: Genau, wie andere von klein auf schon immer wussten, dass sie eines Tages Kinder haben möchten, wusste ich immer, dass ich keine möchte. Weder Nachwuchs, Heirat oder gar eine romantische Beziehung finden Platz in meiner Zukunftsvorstellung – eine Tatsache, die andere Menschen oft verwundert zurücklässt. Nicht selten sehe ich mich deshalb mit Unverständnis oder bevormundenden Äußerungen konfrontiert.
„Warte erstmal, bis du den Richtigen findest, dann änderst du deine Meinung schon noch.“
„Woher kannst du wissen, dass du das nicht willst? Du bist ja noch so jung!“
„Wenn du alt und allein bist, dann wirst du das bereuen.“
Es fällt mir schwer, für solche Aussagen Verständnis aufzubringen. Denn allein fühl ich mich nicht – ganz im Gegenteil: Ich habe einen großen Freundeskreis, mit dem ich mich regelmäßig treffe, lebe in einer WG und habe eine gute Beziehung zu meiner Familie. Zudem bin ich erst vor Kurzem Tante geworden und verbringe gerne Zeit mit meiner kleinen Nichte. An meinem nicht vorhandenen Kinderwunsch hat das nichts geändert. Ich würde mir wünschen, dass auch andere Lebensentwürfe mehr in der Öffentlichkeit gezeigt werden. Nicht immer sind Kinder, Partner und ein eigenes Haus das Passende. Das Leben ist vielfältig und das eigene Glück kann man auf ganz unterschiedliche Art und Weise finden.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich mit meinem fehlenden Kinderwunsch in der asexuellen Community keine Minderheit darstelle. Doch natürlich gibt es auch asexuelle Menschen, welche eine Familie gründen wollen. Ein Widerspruch zur eigenen Sexualität?
Nicht zwangsläufig. Manche asexuellen Menschen, die in romantischen Beziehungen sind, haben einzig und allein aus dem Grund Sex, weil sie Kinder kriegen wollen. Andere bevorzugen alternative Möglichkeiten wie Adoption oder eine künstliche Befruchtung. Die eigene Sexualität muss nicht immer ein Hindernis für den Kinderwunsch darstellen.
Mir ist es wichtig, hier nicht nur meine eigene Erfahrung zu zeigen – denn jede Person erfährt ihre Asexualität auf eine andere Art und Weise. Deshalb habe ich online einen Aufruf gestartet und mit vier jungen, asexuellen Frauen gesprochen, die alle sehr unterschiedlich mit dem Thema Kinderwunsch umgehen.
„Kinderkriegen ist ein wenig, wie ein Geschäft eröffnen“
Für Carina ist klar: Ihre Asexualität und ihr Kinderwunsch stehen nicht in einem direkten Zusammenhang. „Meine Asexualität lebt sich so aus, dass ich keinen Sex will. Wenn ich eine*n Partner*in habe, dann gibt es trotzdem Möglichkeiten, schwanger zu werden. Vielleicht könnte ich mich dann sogar zum Sex überwinden. Davon abgesehen sehe ich es auch nicht zwingend für mich ein, eine*n Partner*in zu haben, um Kinder zu kriegen. Das kann ich auch selbst in die Hand nehmen. Sex ist nicht das Kriterium, das für mich erfüllt werden muss, um schwanger zu sein.“
Den Kinderwunsch auf eigene Faust erfüllt hat sich auch Jennifer. Sie hat sich für Co-Parenting entschieden, also die geteilte Verantwortung für ein Kind, ohne dass die Eltern in einer Beziehung sind. Über eine Webseite hat sie nach ein paar anfänglichen Fehlversuchen einen jungen Mann kennengelernt, mit dem sie sich Elternschaft vorstellen kann. Beide werden ins gleiche Gebäude ziehen, aber in getrennten Wohnungen leben. In den ersten Monaten darf der Vater von Jennifers Kind trotzdem in ihrer Wohnung auf dem Sofa übernachten, weil das mit der Arbeitsteilung sonst eher schwierig würde. Beide teilen sich das Sorgerecht und werden teilweise in das Leben des anderen integriert – immerhin gibt es viele Veranstaltungen, wo es für Kinder schön ist, beide Elternteile dabei zu haben (z.B. Schule, Kita, Geburtstag). Die beiden planen aber auch feste Freiräume ein, in denen jeder mal „kindfrei“ hat. Es wird auch ein gemeinsames Sorgerecht geben.
Jennifer sagt, auf diese Art und Weise ein Kind zu bekommen, sei ein wenig wie ein Geschäft eröffnen: „Man verhandelt, um die besten Kompromisse für beide zu finden – da wären sexuelle oder romantische Gefühle nur störend. Bei Co-Parenting entscheidet man ganz sachlich und nüchtern, welcher Mensch am besten ins eigene Leben (und das des künftigen Kindes) passt.“
Wenn die eigene Sexualität beim Kinderkriegen im Weg steht
Nicht immer lässt sich der Kinderwunsch so leicht mit der eigenen Sexualität vereinbaren wie bei Carina und Jennifer. Dies beweist die Erfahrung von Leyla:
„Einen Kinderwunsch hatte ich eigentlich schon immer, aber ich habe irgendwie intuitiv stets nach Möglichkeiten gesucht, das ohne eine eigene Schwangerschaft zu erreichen“, hat sie mir erzählt, nachdem sie auf meinen Aufruf reagiert hat.
Lange Zeit wollte sie gerne ein Kind adoptieren oder Pflegekinder betreuen. Sie träumte stets von der Großfamilie. Allerdings sei das für ihren Partner schwierig, weil er sehr gern ein eigenes Kind hätte. „Damit beschäftigen wir uns jetzt schon seit Jahren, einfach um diese Entscheidung zu treffen“, erklärt sie mir. „Ich denke, dass ich, wenn ich nicht asexuell wäre, jetzt sicherlich schon ein Kind hätte, vielleicht sogar mehr. Aber weil Intimität in unserer Beziehung kein Thema ist, ergibt sich halt nicht spontan die Gelegenheit dazu.“
Was in Leylas Fall noch erschwerend hinzukommt, ist das Umfeld, das von der Asexualität weiß und gezielt thematisiere, dass sie und ihr Partner „ja jetzt Sex haben“ und das sicher total aufregend sei. „Irgendwie macht das die eh schon seltsame Situation nur noch schwieriger“, so Leyla.
Auch für Maya gestaltet sich das Thema Kinderwunsch schwierig. Sie ist seit 9 Jahren mit ihrem Partner zusammen und die beiden versuchen nun seit einigen Monaten, ein Kind zu zeugen. Maya bezeichnet sich selbst als „sex-neutral“ oder „sex-repulsed“, findet die Idee von Sex also teils gar abstoßend. Das sei bei ihr allerdings schwankend. Sie könne erst während des „Akts“ wirklich einschätzen, womit sie sich an diesem Tag wohlfühle. Das habe in den letzten Jahren dazu geführt, dass die beiden aktuell sehr wenig Sex haben. Mit dieser Situation fühlt Maya sich momentan sehr wohl.
„Damit es allerdings mit dem Kinderwunsch klappt, muss es an bestimmten Tagen einfach funktionieren, was die Sache für mich nicht gerade einfacher macht“, so Maya. „Ich versuche dann, mich abzulenken, das Ganze irgendwie entspannt zu gestalten, aber es hilft nicht immer. Manchmal werden dann Toys hinzugezogen, aber schön ist das meist nicht. Aktuell kriege ich es hin, weil ich ja irgendwie weiß, wofür wir es machen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es auf Dauer sehr anstrengend und auch zermürbend sein kann. Je nachdem, wie lange es dauert.“
Mayas Partner ist sehr unterstützend und sie kann mit ihm über alles sprechen – das helfe enorm, sagt sie. Aber das Thema führe auf jeden Fall dazu, dass ihr ihre Asexualität sehr präsent sei. „Und leider kommen dadurch auch Gedanken hoch, die ich zum Glück lange nicht hatte. Also solche wie Ich wünschte, ich wäre nicht asexuell, dann wäre das alles viel einfacher – und das macht mich manchmal traurig, weil ich eigentlich kein Problem mehr damit habe und auch meist stolz bin, Teil der Community zu sein.“
Asexualität/Aromantik ist also, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag, nicht automatisch mit einem nicht vorhandenen Kinderwunsch gleichzusetzen oder mit selbstgewählter Kinderlosigkeit. Eher im Gegenteil, es gibt viele Möglichkeiten, wie man sich den Kinderwunsch als asexuelle/aromantische Person erfüllen kann. Hier eine (wahrscheinlich unvollständige) Liste:
- Die Bechermethode
- Der Mann ejakuliert in einen Becher und das Sperma wird im Anschluss mit einer Spritze in die Gebärmutter übertragen
- Befruchtung mit einer Inseminationskappe
- Das Sperma des Mannes wird in eine Inseminationskappe gegeben und diese anschließend vor dem Gebärmutterhals platziert
- Adoption
- Pflegeelternschaft
- Hierbei wird ein fremdes Kind in Pflege genommen, die rechtliche Verbindung zu den biologischen Eltern erlischt jedoch nicht
- Co-Parenting
- Samenspende und künstliche Befruchtung (ICSI)
Wer mehr über das Thema Asexualität/Aromantik und Kinderwunsch erfahren möchte, selbst Teil der Community ist und einen Kinderwunsch hat oder sich für die Community engagieren möchte, findet auf den unten aufgeführten Webseiten weitere Informationen zu diesem Thema:
Insemination – Asexuell Kinderwunsch – hier finden Sie INformationen zu: Asexuell Kinderwunsch
Asexuell und Kinderwunsch: Geht das? ❤️ | EIS Magazin
Startseite – Fachstelle Regenbogenfamilien in NRW
Gleichstellung von Regenbogenfamilien Handlungserfordernisse und Lösungsansätze in Deutschland sowie Einblicke in andere europäische Staaten: 9ff5e5a32d.pdf (beobachtungsstelle-gesellschaftspolitik.de)
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ASEXUALITÄT & Aromantik – ANDERS & GLEICH NRW (aug.nrw)
Familyship: Plattform zur Familiengründung & Co-Parenting
So funktioniert die geteilte Elternschaft mit Co-Parenting (aok.de)