Früh- und Spätaborte und die toxische Darstellung in diversen Medien

„Frühaborte sind wie Fahrradfahren, wenn du einmal gelernt hast, wie es geht, verlernst du es nicht mehr.“

Diesen Satz habe ich nach meinem zweiten Frühabort gesagt. Ich konnte dieses tragische Ereignis nur noch mit Humor kompensieren, weil eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem erneuten Verlust zu schmerzhaft für mich war. Einmal ein Kind zu verlieren – und wenn es zu diesem Zeitpunkt nur ein Embryo ist -, ist schon traumatisch genug, dieses Erlebnis ein zweites, drittes oder vielleicht sogar viertes Mal erleben zu müssen, ist der Overkill und kann einen brechen.

Nach meinem zweiten Frühabort, bei dem ich sogar zwei Kinder und nicht nur eines verloren habe (ich war mit eineiigen Zwillingen in der neunten Schwangerschaftswoche schwanger), stand ich kurz davor, meinen Kindheitstraum von einer Familie mit Kindern aufzugeben. Ich konnte nicht mehr, körperlich und seelisch. Ich war traumatisiert, hatte Angst und keine Kraft mehr, es direkt erneut zu versuchen.

Zu diesem Zeitpunkt versuchten mein Mann und ich schon seit 3 ½ Jahren, ein Kind zu bekommen. 3 ½ Jahre voller Hoffen und Enttäuschung, negativer Schwangerschaftstests, unzähliger Arztbesuche und doch keiner Ursachenfindung, drei Hormonbehandlungen in der Kinderwunschklinik und zwei Frühaborten. Ich fühlte mich vollkommen allein, da niemand in meinem Freundes- und Bekanntenkreis so etwas erlebt hatte, machte mir Vorwürfe und glaubte, ich sei eine Enttäuschung für meinen Mann und für alle um mich herum.

Bereits nach dem ersten Frühabort habe ich mir die Schuld daran gegeben, dass ich das Kind verloren hatte. Nicht, weil ich aktiv etwas getan hätte, was einen Frühabort begünstigt, sondern weil ich glaubte, dass ich es nicht zu einer Panikattacke, die ich aufgrund einer emotionalen Auseinandersetzung mit einem ehemaligen Freund bekommen hatte, hätte kommen lassen dürfen. Ich war fest davon überzeugt, meine eigenen Gefühle und der dadurch entstandene körperliche Stress hätten den Frühabort herbeigeführt und ich hätte ihn verhindern können, wenn ich ruhig geblieben wäre.

„Das ist doch Schwachsinn“, werden jetzt vielleicht einige denken und sie haben damit recht. Natürlich war der Auslöser nicht die Panikattacke und nicht meine Schuld und trotzdem war ich der festen Überzeugung, dass es daran gelegen haben musste.

Aber wie kam ich darauf? Ganz einfach: Weil ich es so in diversen Medien aufgezeigt bekommen hatte.

Egal ob in Büchern, Serien oder Filmen, ja sogar in Gesprächen mit Ärzt*en/innen war immer wieder das Bild gezeichnet worden, dass ich tiefenentspannt sein musste, um schwanger zu werden und schwanger zu bleiben. Wie oft war mir der Satz, „Du musst dich einfach mal entspannen“, an den Kopf geworfen worden? Wie oft hatte ich in irgendeiner Serie oder einem Film das tragische Ende einer Schwangerschaft gesehen, weil sich die dargestellte Schwangere aufgeregt hatte und daraufhin einen Frühabort, einen Spätabort oder vorzeitige Wehen bekam? Wie oft hatte ich in Büchern gelesen, dass sich eine Schwangere körperlich und psychisch nicht geschont hatte und daraufhin ihr Kind verlor? Viel zu oft.

Ich könnte an dieser Stelle schon zu meinem Fazit kommen, dass die Darstellung von Früh- und Spätaborten in den diversen Medien toxisch ist, aber das würde eine ganz wichtige Gruppe, die ebenfalls unter einem Früh- bzw. Spätabort leidet, exkludieren und um deren Repräsentation soll es schließlich ebenfalls gehen.

Wie, bei einem Früh- bzw. Spätabort gibt es noch andere Betroffene als die Schwangere? Und wie es diese gibt. Sie werden nur leider ständig vergessen, da sie den Früh- bzw. Spätabort nicht körperlich erleben. Ich rede natürlich von den jeweiligen Partner*n/innen der betroffenen Schwangeren.

Na, was meint ihr, wie ging es meinem Mann während dieser Zeit? Kurz gesagt: Es ging ihm beschissen.

Schon nach dem ersten Frühabort war er psychisch am Ende und trauerte genauso sehr um unser verlorenes Kind wie ich, doch anders als mir, wurde ihm das nicht zugestanden. Als mein Mann darum bat, Urlaub nehmen zu können, weil es ihm psychisch nicht gut ging, wurde seine Bitte abgewiesen. Als unsere Freund*e/innen und Bekannten erfuhren, was passiert war, fragten sie ihn, wie es mir ging, aber nicht, wie er sich fühlte. Als er aufgrund eines Fehlers auf der Arbeit einen Eintrag in die Personalakte bekam, wurde sein Argument, dieser Fehler sei ihm aufgrund der psychischen Belastung wegen des Frühaborts unterlaufen, nicht gewertet. Und von allen Seiten wurde ihm gesagt, er müsse jetzt für uns beide stark sein, weil der Verlust für mich so viel schlimmer sei und er mich auffangen müsse.

Woher kam diese Sichtweise unseres Umfelds? Wieder aus den diversen Medien, in denen der Mann nach einem Früh- bzw. Spätabort als Stehaufmännchen dargestellt wurde, das so weitermachte wie bisher, ohne irgendwelche emotionalen oder körperlichen Einschnitte. Der sich liebevoll um seine trauernde Frau kümmerte und ihr neuen Mut schenkte. Den dieser Verlust offensichtlich nicht so sehr bekümmerte, wie seine Partnerin.

Und da liegt das Problem. Die Darstellung in den Medien zeichnet ein sehr einseitiges und leider auch vollkommen falsches/veraltetes Bild und das führt dazu, dass sich Betroffene wie ich Vorwürfe machen, weil sie glauben, sie hätten etwas falschgemacht und dass die/der/* Partner*in sich die eigenen Gefühle nicht zugesteht, weil sie/er/* stark sein muss.

Umso wichtiger ist es, diese einseitige Darstellung aufzubrechen und Betroffene richtig zu repräsentieren. Deswegen bitte ich euch, wenn ihr bei eurem nächsten Projekt einen Früh- oder Spätabort beschreibt, dass ihr ihn realistisch begründet und nicht mit einem emotionalen Anfall.

Zu den realistischen Gründen zählen unter anderem:

  • Eine nicht diagnostiziere Gerinnungsstörung, Autoimmunerkrankung, Hormonstörung, Endometriose, humangenetische Inkompatibilität
  • Alkohol- und Drogenmissbrauch
  • ein Unfall
  • die medizinische Wahrscheinlichkeit für einen Frühabort (die liegt nämlich bei 10-15 % [die Dunkelziffer ist sogar noch höher])

Gleiches gilt für die Darstellung der/des/* betroffenen Partner*s/in. Lasst sie nicht einfach nur stark und unbeeindruckt mit diesem Verlust umgehen, sondern gebt auch ihnen die Möglichkeit, diesen zu betrauern, für ihre Gefühle einzustehen und sie gegenüber Freund*en/innen, Familie und Bekannten zu äußern.
Und denkt auch an eine realistische Darstellung des Umfelds. Zeichnet ein vielschichtiges Bild, damit andere Betroffene nicht mehr glauben müssen, sie seien schuld oder dürften nichts fühlen.

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